Die renommierte Welt der Mathematik könnte sich schon bald im Umbruch befinden, angetrieben durch die rasanten Fortschritte im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Terence Tao, Professor für Mathematik an der University of California, Los Angeles (UCLA) und Träger der Fields-Medaille, der höchsten Auszeichnung in der Mathematik, skizziert eine Zukunft, in der KI-Assistenten die mathematische Forschung grundlegend verändern könnten.
Von der einsamen Forschung zur breiten Kollaboration
In einem Interview mit dem Magazin "The Atlantic" beschreibt Tao seine Vision für den Einsatz von KI in der mathematischen Forschung. Er stellt sich vor, wie Forscher mit Chatbots in einen Dialog treten, um Ideen zu entwickeln und zu verfeinern. Diese Vorstellung mag zunächst futuristisch erscheinen, doch bereits heute finden KI-Systeme in verschiedenen Bereichen Anwendung, die vor wenigen Jahren noch undenkbar schienen.
Tao vergleicht das Potenzial von KI in der Mathematik mit der Rolle von Schachcomputern. Während KI das Schachspiel auf höchstem Niveau beherrscht, ist das menschliche Schachspiel dadurch nicht obsolet geworden. Vielmehr eröffnen Schachprogramme den Spielern neue Möglichkeiten, da sie Züge und Strategien weit im Voraus analysieren können.
KI als "mittelmäßiger" Assistent
Obwohl Tao das Potenzial von KI in der Mathematik erkennt, betont er auch die Grenzen der aktuellen Modelle. Er vergleicht sie mit "mittelmäßigen, aber nicht völlig inkompetenten" Assistenten, die zwar Routineaufgaben erledigen können, aber nicht über die Kreativität und Flexibilität menschlicher Mathematiker verfügen.
"Ein wesentlicher Unterschied zwischen Doktoranden und KI besteht darin, dass Doktoranden lernen", erklärt Tao. Während KI-Modelle ihr Vorgehen nach einer Korrektur zwar vorübergehend anpassen können, fallen sie oft in ihre alten Muster zurück. Jede neue KI-Sitzung beginnt wieder bei Null.
"Ich bin bei Doktoranden viel geduldiger, weil ich weiß, dass sie, selbst wenn sie eine Aufgabe nicht lösen können, das Potenzial haben, zu lernen und sich selbst zu korrigieren", sagt Tao und betont damit die unterschiedlichen Lernmodelle von KI und Menschen.
"Industrielle Mathematik" durch KI
Tao skizziert eine Vision von "industrieller Mathematik", die durch KI und Computertools ermöglicht wird. Anstatt wie bisher einzelne Mathematiker jahrelang an komplexen Problemen arbeiten zu lassen, könnten große Teams mit KI-Unterstützung breitere, wenn auch weniger tiefgehende Forschung betreiben. Chatbots könnten diesen Prozess beschleunigen, indem sie natürliche Sprache in Code für Beweisassistenten übersetzen.
"Anstelle einer engen, tiefen Mathematik, bei der ein menschlicher Experte sehr hart an einem engen Spektrum von Problemen arbeitet, könnte man breite, per Crowdsourcing erfasste Probleme mit viel KI-Unterstützung haben, die vielleicht oberflächlicher sind, aber in einem viel größeren Maßstab", sagt Tao. "Und es könnte eine sehr komplementäre Möglichkeit sein, mathematische Erkenntnisse zu gewinnen."
Komplementäre Stärken von Mensch und Maschine
Tao betont, dass Menschen und KI über komplementäre Stärken verfügen und beide auch in Zukunft in der Forschung benötigt werden. "KI ist sehr gut darin, Milliarden von Datenpunkten in eine gute Antwort umzuwandeln. Menschen sind gut darin, aus zehn Beobachtungen wirklich inspirierte Vermutungen anzustellen", so Tao.
Ein Beispiel für diese komplementäre Beziehung liefert der Mathematikprofessor Robert Ghrist von der University of Pennsylvania. Er nutzte das KI-Modell GPT-o1-mini, um einen komplexen mathematischen Beweis zu erstellen. Nach monatelangen Tests verschiedener Modelle analysierte GPT-o1-mini einen fehlerhaften Beweis, identifizierte die Fehler und generierte einen neuen, eleganteren Beweis.
Obwohl die KI in diesem Fall einen wertvollen Beitrag leistete, räumt Ghrist ein, dass die Zusammenarbeit mit ihr den Prozess nicht unbedingt vereinfachte. Ein anderer Mathematiker zeigte später, dass der Beweis viel einfacher hätte geführt werden können.
Fazit
Die Integration von KI in die Mathematik steht noch am Anfang, doch das Potenzial ist enorm. KI-Assistenten könnten sich als wertvolle Werkzeuge erweisen, die menschliche Mathematiker bei ihrer Arbeit unterstützen und neue Formen der Kollaboration ermöglichen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Beziehung zwischen Mensch und Maschine in der Mathematik in den kommenden Jahren entwickeln wird. Eines scheint jedoch sicher: KI wird die Art und Weise, wie wir Mathematik betreiben, grundlegend verändern.
Quellen
- https://the-decoder.com/renowned-mathematician-terence-tao-envisions-ai-powered-industrial-scale-mathematics/
- https://www.theatlantic.com/technology/archive/2024/10/terence-tao-ai-interview/680153/
- https://www.youtube.com/watch?v=_sTDSO74D8Q
- https://www.scientificamerican.com/article/ai-will-become-mathematicians-co-pilot/
- https://wallstreetpit.com/119412-proofs-reimagined-how-ai-is-transforming-the-future-of-mathematics/
- https://deepmind.google/discover/blog/funsearch-making-new-discoveries-in-mathematical-sciences-using-large-language-models/
- https://www.linkedin.com/posts/lean-fro_ai-will-become-mathematicians-co-pilot-activity-7208548436319559680-NZcM
- https://www.linkedin.com/pulse/potential-ai-science-mathematics-terence-tao-junaid-mubashar-vqtef?trk=public_post
- https://www.tiktok.com/@todayin_ai/video/7407004981309607173
- https://www.amazon.science/blog/how-the-lean-language-brings-math-to-coding-and-coding-to-math