Das Wichtigste in Kürze
- Softwareprojekte überschreiten häufig Budget und Zeitpläne, und liefern oft nicht den erwarteten Nutzen.
- Laut Standish Group waren 2020 nur 31 % der Projekte erfolgreich, während 50 % herausfordernd und 19 % gescheitert waren.
- Die Boston Consulting Group (BCG) stellt fest, dass über zwei Drittel grosser Technologieprogramme die Zeit-, Budget- oder Umfangsvorgaben nicht einhalten.
- Hauptursachen für diese Probleme sind ungenaue Planung, mangelhaftes Projektmanagement, unklare Anforderungen, unzureichende Kommunikation und das Unterschätzen der Komplexität.
- Erfolgreiche Projekte zeichnen sich durch klare Geschäftsziele, effektives Lieferantenmanagement, definierte IT-Architektur, etablierte Wertannahmen und Prozessstandardisierung aus.
- Digitale Reife, insbesondere in Bezug auf Personal- und Datenkompetenzen, korreliert stark mit dem Projekterfolg.
- Eine Neuausrichtung von Softwareentwicklung als Geschäftsdialog vor der technischen Umsetzung kann die Erfolgsquoten verbessern.
Herausforderungen in der Softwareentwicklung: Eine Analyse der Misserfolgsquoten und deren Ursachen
Die Entwicklung von Softwareprojekten ist in vielen Unternehmen mit erheblichen Herausforderungen verbunden. Aktuelle Studien und Berichte zeigen, dass ein signifikanter Anteil dieser Projekte ihre Ziele hinsichtlich Zeit, Budget und Funktionalität verfehlt. Diese anhaltenden Schwierigkeiten führen nicht nur zu finanziellen Verlusten, sondern auch zu verpassten Geschäftschancen und einer sinkenden Akzeptanz bei den Endnutzern. Als Analyst für Mindverse beleuchten wir die Kernprobleme und präsentieren umfassende Einblicke, um Entscheidungsträgern präzise Handlungsempfehlungen zu geben.
Historische und aktuelle Perspektiven auf den Projekterfolg
Die Standish Group, bekannt für ihren „CHAOS Report“, untersucht seit Jahrzehnten den Erfolg von IT-Projekten. Bereits 1994 zeigte sich ein alarmierendes Bild: Lediglich 16,2 % der Softwareprojekte wurden pünktlich und im Rahmen des Budgets geliefert. Über 31 % wurden vor Fertigstellung abgebrochen, und mehr als die Hälfte (52,7 %) überschritt das ursprüngliche Budget um durchschnittlich 189 %. Besonders grosse Organisationen hatten mit einer Erfolgsquote von nur 9 % zu kämpfen, während 61,5 % der Projekte als herausfordernd galten und 29,5 % scheiterten. Selbst die fertiggestellten Projekte lieferten im Durchschnitt nur 42 % der ursprünglich geplanten Funktionen.
Obwohl sich die Ergebnisse bis 2012 verbesserten – die Erfolgsquote stieg auf 37 %, während 42 % als herausfordernd und 21 % als gescheitert eingestuft wurden –, zeigten die Daten von 2020 erneut Schwierigkeiten auf. Nur 31 % der Projekte wurden als „erfolgreich“ bewertet, 50 % waren herausfordernd und 19 % scheiterten. Kleine Projekte schnitten mit einer Erfolgsquote von rund 90 % deutlich besser ab als grosse Projekte, die weniger als 10 % Erfolg verzeichneten.
Die Boston Consulting Group (BCG) bestätigt diese Trends in ihrer jüngsten Untersuchung: Über zwei Drittel der grossen Technologieprogramme werden voraussichtlich nicht pünktlich, innerhalb des Budgets oder im geplanten Umfang geliefert. Ein Scheitern kann für ein typisches Grossunternehmen jährliche Kosten von über 20 Millionen Euro pro Programm verursachen.
Ursachen für das Scheitern von Softwareprojekten
Die Gründe für das häufige Scheitern oder die Verzögerung von Softwareprojekten sind vielfältig und komplex. Sie lassen sich in mehrere Kategorien unterteilen, die sowohl strategische als auch operative Aspekte umfassen:
1. Mangelhafte Planung und unklare Anforderungen
- Ungenauigkeit bei der Zeit- und Ressourcenplanung: Eine der Hauptursachen ist das Fehlen eines umfassenden Gesamtplans, der klare Meilensteine, Abhängigkeiten und ein realistisches Ressourcenmodell berücksichtigt. Mehr als 60 % der Befragten in BCG-Studien führen ihren mangelnden Erfolg auf diese Mängel zurück.
- Unklare Geschäftsziele und wechselnde Anforderungen: Projekte starten oft ohne eine präzise Definition der geschäftlichen Problemstellung und der erwarteten Ergebnisse. Dies führt zu „Scope Creep“, also einer unkontrollierten Ausweitung des Projektumfangs, und mangelnder Relevanz für die tatsächlichen Nutzerbedürfnisse. Eine McKinsey-Umfrage identifizierte verschiebende organisatorische Prioritäten und Änderungen der Projektziele nach dem Start als Hauptursachen für Misserfolge.
- Fehlende Forschung und MVP-Definition: Unzureichende Vorabforschung zur Wettbewerbsfähigkeit, Technologieauswahl und den benötigten Spezialisten führt zu ungenauen Anforderungen. Eine unklare Definition des Minimum Viable Product (MVP) kann dazu führen, dass das MVP selbst das Budget überschreitet und keine klaren Erkenntnisse für die weitere Entwicklung liefert.
2. Ineffizientes Management und Governance
- Mangel an effektivem Programmmanagement und Governance: Eine unzureichende Überwachung der Wertschöpfung, Identifizierung von Risiken und deren Minderung wird von über 60 % der Befragten als Problem genannt. Die aktive Einbindung der Führungsebene und die Befugnis des Projektteams, Entscheidungen zu treffen, sind oft unzureichend.
- Schlechte Zusammenarbeit zwischen Business und IT: Das Fehlen einer dualen Führung aus Geschäfts- und Technologieseite untergräbt die Projektverantwortung und die Zusammenarbeit auf Teamebene. Oft fehlen Business-Experten, die Geschäftsanforderungen definieren und priorisieren können, während IT-Experten durch Überlastung in anderen Projekten gebunden sind.
- Mangelndes Management von Abhängigkeiten: Mehr als 55 % der Befragten berichten, dass Unternehmen ihr Technologieprojektportfolio nicht umfassend verwalten, einschliesslich der Abhängigkeiten innerhalb und zwischen Projekten.
3. Menschliche Faktoren und Kommunikationsdefizite
- Optimistische Schätzungen: Projektbeteiligte neigen dazu, den Arbeitsaufwand zu unterschätzen und unrealistische Erwartungen zu setzen, oft aus dem Wunsch heraus, maximale kommerzielle Ergebnisse mit minimalem Budget zu erzielen. Dies kann zu bewussten oder unbewussten Fehleinschätzungen führen.
- Menschliches Versagen: Trotz sorgfältiger Planung können Fehler durch menschliche Faktoren auftreten. Eine offene Fehlerkultur und regelmässige Überprüfungen sind essenziell, um solche Fehler frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren.
- Mangelnde Kommunikation: Schlechte Kommunikation führt zu Missverständnissen bei Prioritäten, Aufgaben und der Relevanz von Lösungen. Dies kann die Motivation der Projektteilnehmer beeinträchtigen und zu einer Anhäufung von Schwierigkeiten führen, die später teure Nacharbeiten erfordern.
4. Fehlende Wertorientierung und Asset Management
- Die Illusion der Kontrolle: Entscheidungsträger glauben, durch Lenkungsausschüsse und Berichtsmetriken die Kontrolle über IT-Projekte zu haben, während sie tatsächlich nur die Symptome und nicht die Ursachen angehen. Der Fokus liegt auf der Einhaltung von Zeit- und Kostenplänen, nicht auf dem tatsächlichen Nutzen nach der Implementierung.
- Die Trugschluss des „funktionierenden Systems“: IT-Abteilungen, oft als Kostenstellen geführt, sind darauf bedacht, funktionierende Systeme zu liefern, um Finanzierungen zu sichern. Der Geschäftsnutzen wird dabei oft zur Nebensache, und es wird angenommen, dass ein funktionierendes System automatisch die Geschäftsleistung verbessert.
- Interessenkonflikte: Wenn dieselbe Gruppe für Design, Entwicklung, Finanzierung und Qualitätskontrolle verantwortlich ist, entstehen Interessenkonflikte. Dies kann zu Kompromissen bei der Systemqualität und einer Vernachlässigung langfristiger Aspekte zugunsten kurzfristiger Lieferziele führen.
- IT-Amnesie-Syndrom: Die projektorientierte Ausrichtung vieler IT-Organisationen führt dazu, dass Erfahrungen aus abgeschlossenen Projekten nicht systematisch dokumentiert oder gelernt werden. Dies führt zu unnötiger Komplexität in zukünftigen Projekten und erschwert die Wartung bestehender Systeme.
- Verwaltung von Ausgaben statt Assets: Digitale Systeme werden selten als langfristige Vermögenswerte mit einem klaren Lebenszyklus und Gesamtkostenansatz verwaltet. Stattdessen werden sie als Fahrzeuge zur Finanzierung betrachtet, was zu übermässigen Kosten und mangelnder Agilität führt.
Wege zum Erfolg: Strategien zur Verbesserung der Projektergebnisse
Um die Erfolgsquoten von Softwareprojekten nachhaltig zu steigern, sind tiefgreifende Veränderungen in der Herangehensweise und Organisation erforderlich. Die folgenden Empfehlungen können Unternehmen dabei unterstützen, die genannten Herausforderungen zu meistern:
1. Klare Definition und Validierung
- Priorisierung des Geschäftsdialogs: Softwareentwicklung sollte primär als Geschäftsdialog verstanden werden, bevor die technische Umsetzung beginnt. Es ist entscheidend, interne und externe Nachfrage zu validieren und die Bedürfnisse der Endnutzer genau zu verstehen.
- Frühzeitige Ideenprüfung: Partner, die Ideen frühzeitig kritisch hinterfragen und potenzielle Fehltritte aufzeigen, können kostspielige Umwege verhindern und Konzepte widerstandsfähiger machen. Dies erfordert einen Kulturwandel hin zu offener Kommunikation und kritischem Denken.
- Detaillierte Anforderungsdefinition: Aufgaben sollten in kleinere, überschaubare Einheiten zerlegt und deren technische Umsetzung sowie der benötigte Aufwand präzise geschätzt werden. Dies schliesst die Bewertung der Komplexität durch die Ausführenden ein.
2. Effektives Management und Governance
- Starke Führung und Kommunikation: Ein Projektleiter mit umfassendem Verständnis für technische Grundlagen, kommerzielle Ziele und menschliche Aspekte ist entscheidend. Eine Kultur der offenen und transparenten Kommunikation, unterstützt durch geeignete Tools und Praktiken, fördert die Zusammenarbeit und Motivation.
- Kontinuierliche Überprüfung und Anpassung: Projektpläne sollten flexibel sein und die unvermeidliche Notwendigkeit von Änderungen berücksichtigen. Änderungen müssen jedoch sorgfältig geprüft, genehmigt und priorisiert werden, um eine unkontrollierte Ausweitung des Umfangs zu vermeiden.
- Vollständiges Asset Management: Digitale Systeme sollten als produktive Vermögenswerte betrachtet und über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg aktiv verwaltet werden. Dies beinhaltet die Verfolgung des Nutzens, die Überwachung der Wartungskosten und die rechtzeitige Entscheidung über Ersatz oder Stilllegung.
3. Digitale Reife und Organisationsentwicklung
- Investition in digitale und KI-Kompetenzen: Unternehmen mit hoher digitaler Reife, insbesondere in Bezug auf Personal- und Datenkompetenzen, implementieren grosse Technologieprogramme signifikant schneller und bleiben eher im Budget.
- Entkoppelung von Verantwortlichkeiten: Um Interessenkonflikte zu beseitigen, sollten Rollen wie Architekt, Entwickler, Betreiber und Qualitätsprüfer klar voneinander getrennt werden. Dies erfordert eine radikale Neugestaltung der IT-Organisation, weg vom „Single-Counter-IT“-Modell.
- Fokus auf Wertschöpfung statt Finanzierung: Das Finanzierungsmodell sollte von der Lieferung eines funktionierenden Systems hin zur Realisierung von Geschäftswerten durch Transformation verlagert werden. Dies erfordert eine Neuzuweisung von Verantwortlichkeiten und neue Leistungskennzahlen, die den tatsächlichen Geschäftsnutzen messen.
- Anpassung der C-Suite-Perspektive: Führungskräfte müssen ein tiefgreifendes Verständnis für die erfolgreiche Nutzung digitaler Technologien entwickeln und erkennen, dass der Erfolg digitaler Investitionen oft lange vor dem Projektstart bestimmt wird.
Fazit
Die Herausforderungen in der Softwareentwicklung sind tief verwurzelt und erfordern mehr als nur oberflächliche Anpassungen. Eine Neuausrichtung auf klare Geschäftsziele, eine rigorose Planung, ein effektives Management, eine offene Kommunikationskultur und die konsequente Verwaltung digitaler Assets sind entscheidend. Durch die Überwindung der „versteckten Ursachen“ von Projektausfällen können Unternehmen nicht nur finanzielle Verluste minimieren, sondern auch die Innovationsfähigkeit stärken und Produkte entwickeln, die den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer entsprechen. Mindverse bietet als KI-Partner Werkzeuge und Erkenntnisse, um diese komplexen Prozesse zu unterstützen und Unternehmen auf ihrem Weg zu erfolgreichen digitalen Transformationen zu begleiten.
Bibliographie
- Standish Group CHAOS Report 1994, 2012, 2020 (OpenCommons)
- Bhave, Ashwin: "Software Projects Don't Have to Be Late, Costly, and Irrelevant", LinkedIn-Post, 2024.
- Grebe, Michael; Lyon, Vanessa; Harnisch, Michael; Chatterjee, Abhik; Kok, Steven Alexander; Brock, Jon: "Most Large-Scale Tech Programs Fail—Here’s How to Succeed", Boston Consulting Group, 2024.
- Klimenko, Alla: "6. Here Is Why IT Projects Are Late and Exceed Budgets", Mad Devs, 2022.
- Peppard, Joe; Bastien, R. M.: "The Hidden Causes of Digital Investment Failures", MIS Quarterly Executive, 2024.
- Akst, Daniel: "Why do large projects go over budget?", strategy+business, 2023.
- DeveloperTech News: "Software projects late, costly, and irrelevant?", 2025.
- Visme: "Solutions Machine_A Guide to Why Software Project Fail", Solution Machine Guide.
- Wikimedia projects: "List of failed and overbudget custom software projects", Wikipedia.