Ein mysteriöser Klang, der erstmals 2014 im Marianengraben aufgenommen wurde, hat Wissenschaftler jahrelang vor ein Rätsel gestellt. Der als "Biotwang" bezeichnete Klang konnte keiner bekannten Walart zugeordnet werden. Nun haben Forscher mithilfe eines von Google entwickelten KI-Modells die Quelle identifiziert: Es handelt sich um einen bisher unbekannten Ruf des Bryde-Wals (Balaenoptera edeni).
Der Biotwang ist ein komplexer Ruf, der etwa 3,5 Sekunden dauert und aus fünf verschiedenen Teilen besteht. Er beginnt bei 30 Hz und endet mit einem metallischen Klang, der bis zu 8000 Hz reicht. Diese einzigartige Struktur unterscheidet ihn von bisher bekannten Walrufen. Das Geräusch wurde erstmals während einer akustischen Untersuchung des Marianengrabens im Jahr 2014 aufgenommen.
Die Identifizierung des Biotwangs wurde durch ein KI-Modell von Google ermöglicht, das auf manuell annotierten Biotwang-Rufen trainiert wurde. Dieses Modell konnte diese Rufe in einem großen Datensatz von Unterwasseraufnahmen aus dem westlichen und zentralen Nordpazifik zuverlässig identifizieren. Die Analyse zeigte eine konsistente saisonale Häufigkeit der Rufe im Marianengraben und 2.200 km östlich auf Wake Island, mit gelegentlichen Vorkommen bis zu den nordwestlichen Hawaii-Inseln und in Äquatornähe.
Die Häufigkeit der Biotwang-Rufe deutet auf ein bimodales Migrationsmuster hin, bei dem die Bryde-Wale scheinbar zweimal im Jahr an den Aufnahmeorten vorbeiziehen: in kleinerer Zahl zwischen Februar und April und intensiver zwischen August und November. Forscher vermuten, dass die Wale zwischen äquatorialen Brutgebieten und nördlicheren Nahrungsgebieten migrieren.
Lauren Harrell, Datenwissenschaftlerin bei Google Research, erklärt: "Unser Modell kann acht verschiedene Arten identifizieren, sowie mehrere Rufe für zwei dieser Arten. Nach der Entdeckung unserer Mitarbeiter, die Biotwangs mit dem Bryde-Wal in Verbindung brachten, haben wir das Modell erweitert, um Biotwangs einzuschließen und über 200.000 Stunden Unterwasseraufnahmen zu kennzeichnen."
Das KI-Modell soll Forschern helfen, seltene Biotwang-Rufe in großen Mengen von Unterwasser-Audiodaten automatisch zu durchsuchen. Durch die Analyse der zeitlichen und räumlichen Muster dieser Rufe hoffen Wissenschaftler, die komplexen und möglicherweise klimabedingten Migrationsbewegungen der Bryde-Wale im westlichen Nordpazifik besser zu verstehen.
Die Zusammenarbeit zwischen Google und NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration) zeigt, wie technologische Innovationen die Meeresforschung voranbringen können. Durch die Kombination von KI und akustischen Langzeitüberwachungen konnten Forscher wertvolle Einblicke in das Verhalten und die Verbreitung der Bryde-Wale gewinnen.
Obwohl die Technologie vielversprechend ist, gibt es noch Herausforderungen. "Diese Algorithmen können nur nach einer Frequenz suchen, die sie kennen", sagt Olaf Meynecke, Forschender für Bartenwale an der Griffith University in Australien. Die Vokalisationen von Bartenwalen ändern sich im Laufe der Zeit und zwischen Populationen. Aber da die Werkzeuge Open-Source sind, können andere Wissenschaftler sie nutzen, um mehr über die Sprache der Wale zu entdecken.
Die Entdeckung des Biotwangs und die Entwicklung eines KI-Modells haben bedeutende Implikationen für die Methoden der Meeresforschung. Durch die Passivakustische Überwachung können Forscher die Anwesenheit dieser schwer fassbaren Arten ohne direkte Beobachtung feststellen. Diese Technik ist besonders wertvoll für das Studium der Bryde-Wale, die ständig in Bewegung sind und selten gesehen werden.
Die Entwicklung eines KI-Modells zur Identifizierung von Biotwang-Rufen ist ein bedeutender Fortschritt in der Meeresforschung. Sie bietet neue Einblicke in das Verhalten und die Verbreitung der Bryde-Wale und zeigt, wie technologische Innovationen zur Lösung komplexer wissenschaftlicher Herausforderungen beitragen können. Die Erkenntnisse aus dieser Forschung könnten auch dazu beitragen, Schutzmaßnahmen für diese und andere gefährdete Walarten zu verbessern.